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09 Aug, 2008

Erika Stucky beim TFF.Rudolstadt

Posted by: Redaktion In: // Festivals|Interviews

„ … wenn sich eine das Akkordeon umhängt und sich auf den Gasofen setzt und einfach in der Küche mit einer dog-mask rumjodelt, hey, es ist lustig, aber es ist auch Anarchie!“

Nach ihrem Konzert in der Kirche beim TFF in Rudolstadt mumbelt Erika Stucky die Unterschiede zwischen dem Land von Britney Spears und Mohamed Ali, und den Schweizer Bergen mit ihrem swiss-voodoo-Ding in unser Mikrophon. Vom San Francisco der späten 1960er Jahre verschlägt es die damals 9-jährige in das 700 Seelen Dorf Mörel beim Aletsch-Gletscher. Dass dieser Kulturschock äußerst positiv auf die Kreativität von Erika Stucky eingewirkt hat, ist im Gespräch selbst mit der vom Konzert erschöpften abgefahrensten Jodlerin aller Zeiten deutlich spürbar.

Erika Stucky bangs off. [www.erikastucky.ch]

Welchen Eindruck hatten Sie von dem Konzert in der Stadtkirche Rudolstadt?

„Ich war überrascht wie voll diese Kirche war! Wie oben und unten und in den Gängen und zwischen den Gängen … das war so gepackt voll – die mussten die Türen zu machen, durften niemanden mehr rein lassen! Man verliert das Bild voller Kirchen. Seit meiner Kindheit hab ich das nie mehr gesehen, dass eine Kirche richtig voll war, außer natürlich bei Auftritten. Ja, die Pfarrherren wünschen sich sowas.“

Was hat die Kirche als Auftrittsort für sie bedeutet?

Je nach Stück. Ich habs gemerkt bei den Jodlern, in denen man den Heiligen San Anton, den Heiligen San Sebastian anruft. Das Zeug ist so tief verankert mit diesen Heiligen und Sünden und Vergeltung und Beten und Beichten. Es ist schon ganz tief in den Melodien drin, also man kanns nicht verleugnen. Eine Kirche multipliziert dieses Feeling. Britney Spears war dann wieder komisch, ich hab echt ne Weile gebraucht, um mich in die andere Welt rüber zu shiften.

Wie verschieden sind sich die schweizer und die amerikanische Mentalität?

Ich muss diese Frage vielleicht mit meinen Kinderaugen und mit meinem Kinderherz beantworten, weil da war es für mich am krassesten. 9-jährig aus diesem Flower-Power San Francisco in dieses 700 Seelen Dorf Mörel beim Aletsch-Gletscher, das war schon ein happiger Unterschied. Und als Kind merkst Du sofort: ganz andere Regeln. Man urteilt auch nicht. Man sagt das ganz ohne Wertung, man merkt einfach, o this is different o, man macht einfach mit. Und ich erinnere mich schon an diese Kraft, die mir diese amerikanischen Lehrerinnen gegeben haben, von wegen, o what are you wonna do when you are grown up?I´m gonna be a singer! O how wonderful, you gonna travel the hole world you gonna be singing. Und in der Schweiz ist das: Was machscht denn Du wenn´d groß bischt. I´m gonna be a singer. Hula-hupp Tänzerin, ach hör doch auf mit dem … was soll das? Du kannst doch Krankenschwester werden, oder Lehrerin oder von mir aus Stuardess, aber hör doch auf, du steckst nur die anderen Kinder mit diesem Unfug an. Das war schon einer der krassesten Unterschiede, wie mich die Erwachsenen behandelt haben in der Schweiz und in Amerika. Jetzt inzwischen hat sich das verwässert. Jetzt hat sich wahrscheinlich auch die ganze Szene ein bisschen geändert. Früher waren die Amerikaner die wilden Rockstars und die ausgeflippten Figuren. Heute muss ich sagen sind die Europäer viel verrückter. Much more crazy.

Gibt es Unterschiede zwischen der amerikanischen und der schweizerischen musikalischen Freiheit?

Am krassesten ist es, wenn man einem Red-pack zuschaut, Sammy Davis Jr., Frank Sinatra, Dean Martin, alle tun, als ob sie daheim in der Stube wärn und noch einen trinken, Hey what are you doing in my livingroom and haha und zwischen den songs wird gespasst und geplaudert, was ich ja auch ganz automatisch tue, ohne mir einen Zwang an zu tun. Und dann geh ich auf ein Jodlerfest und die haben alle die Hände im Sack, weiss nicht ob sie Fäuste machen, vielleicht machen sie sogar Fäuste, und dann wird „yo-lo-ley-yo-la-ti-lo“, das ist schon ganz gaaanz ein anderer Gestus, ich liebe dieses swiss-voodoo-Ding, ich liebe diesen swiss-blues. Wahrscheinlich hab ich deshalb auch das Programm zwei geteilt. Erstmal Hände in den Hosentaschen und dann die Fenster aufmachen, ja, lass die Leute in deine Stube rein.

Sie haben gesagt „Das ist Weltmusik“. War das ironisch gemeint?

Ich glaub nicht, ich glaube da war wirklich grad was, wo ich dachte das ist so universal, wie oft ist ein Jodel Land oder Grenzen bezogen? Wahrscheinlich nie. Das ist so international, so grenzenlos, auch keine Sprache, dieses lautmalerische … Ob jetzt Simbawe oder Oslo, das geht überall, man braucht keinen Text zu übersetzen. Ich galube es geht vor allem darum, wo findet man diese CDs im Landen. Ich bin da großzügig, mir ist eigentlich Wurscht wo meine CDs landen, ob bei Jazz, Rock, World, Indipendent, I don´t really mind.

Würden Sie ihre Musik als nostalgisch beschreiben?

Vielleicht geht´s jemandem der zuschaut so, der denkt „ah, ja, das warn noch Zeiten, super“. Ich selber denke nicht, dass früher alles besser war. Ich möchte nicht zurück in die alten Zeiten. Ich hab das nicht so. Ich denk mir vielleicht „old school“, manchmal denk ich „old school“ gefällt mir, wenn man mir sagt, „du bist echt old school – keine loops, keine digitalen Enhancer“, oder man sagt altmodisch, von mir aus. von mir aus, geht auch, nostalgisch, ich gebrauch den Begriff nicht so oft. Es kann auch mit dem Jodel zu tun haben, dass die einen anrühren, dass man so ein bisschen melancholisch wird. Vielleicht ist Melancholie der richtige Ausdruck, man ist dann so bei sich, vielleicht hat das nostalgische Auswüchse.

Sie spielen während des Konzerts ein Video ab, auf dem sie mit ihrem Akkordeon in einer Küche auf dem Herd sitzen und singen. Nicht weiter ungewöhnlich, wenn da nicht die Känguru Maske wäre … Warum?

Wie viele Frauen sind maskiert, wie viele tragen einen Schleier? Frauen machen zu, Frauen zeigen ihr Gesicht nicht und kochen dazu. Jetzt, wenn eine das Akkordeon umhängt und sich auf den Gasofen setzt und sich trumphotiert was jetzt am Mittag bereit steht für Kind und Mann und einfach in der Küche mit dog-maskrumjodelt,hey, es ist lustig, aber es ist auch Anarchie. Ich überleg mir das vorher nicht, wenn ich vorher die Hundemaske im Zoo sehe und denke, oh i like the mask, dann nehm ich die mit und weiss noch nicht was damit geschieht, aber wenn dann heißt, „kannste n Film machen?“, und dann seh ich die Maske. Das geht meistens sehr schnell diese Entscheidung.

Was inspiriert Sie am meisten?

Oft bin ich von Filmen beflügelt. Es kann ein Samuel L. Jackson sein, der drein guckt, als könnt er keine Fliege töten könnte und dann zückt er ein Messer und dann denk man wo hat jetzt der diese Hellblauigkeit mit seinen brauen Augen, wo hat er das jetzt her geholt? Wie holt er diese Ehrlichkeit raus, dass du ihn liebst und dann sticht er zu? Was muss ein Schauspieler für eine Großzügigkeit haben, um so ein Arschloch, einen Mörder zu spielen? Sobald Du auf der Bühne bist spielst du ja auch Mädchen, Frau, Nutte, du bist alles für die Leute, die dich angucken. Schauspieler inspirieren mich, Filmschauspieler sehr sehr oft, mehr als Theaterleute, die dann geschminkt sind und so laut reden müssen, dass man sie versteht. Ich mag sehr gerne die Filmschauspieler, die für sich mumbeln und die Kamera geht nach ran …

 

Transkription: Helen Hahmann

Das vollständige Interview ist auf Anfrage erhältlich.

Zitate aus dem Interview dürfen nur nach Rücksprache mit den Autoren: info@tinya.org verwendet werden! Do not cite without permission of the authors!

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