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31 Mar, 2011

Wie Taiwan China musikalisch erobert

Posted by: Christina Fellenberg In: Reviews

Marc L. Moskowitz: Cries of Joy, Songs of Sorrow. Chinese Pop Music and Its Cultural Connotations. Honolulu: University of Hawai’i Press. 2010. 165 S.

Mark Moskowitz, Anthropologe an der University of South Carolina, beschäftigt sich hier fundiert mit Mandarin-Popmusik (Mandopop) aus Taiwan. Genderspezifische Erfahrungen und ihre Widerspiegelung im Mandopop, das Oszillieren zwischen Transnationalem und Lokalem sowie politische Implikationen des Mandopop bilden die Schwerpunkte dieses Buches.

Interessanterweise ist der taiwanesische Mandopop in China beliebter als alle in der Volksrepublik produzierten Genres zusammen und besitzt einen sehr hohen Marktanteil. Aufgrund dieser Tatsache bezeichnet Mark Moskowitz das Phänomen als “Taiwan’s musical counter-invasion of China” (2), was durch den historischen Konflikt zwischen Taiwan und China noch an Bedeutung gewinnt. Im ersten Kapitel werden Prozesse der Musikindustrie und gängige Termini sowie ihre Anwendungskontexte analysiert. So verwenden Forscher aus der VR China beispielsweise eher Begriffe, die eine Abgrenzung zur Musik der Anderen impliziert. Die folgenden Kapitel liefern den historischen Hintergrund für Entwicklung und Erfolg des Mandopop.

Einen wesentlichen Bestandteil des Buches bilden Text-, Bilder- und Videoanalysen zahlreicher Songs und Künstler. Dass semantische Felder wie Einsamkeit, Isolation und Anomie gehäuft auftauchen und zur Beliebtheit in China beitragen, hängt wahrscheinlich mit der Unmöglichkeit zusammen, solche Themen direkt anzusprechen, da die nationale Harmonie Vorrang vor individuellen Befindlichkeiten hat.

In den nächsten beiden Kapiteln geht es um die Konstruktionen weiblicher und männlicher Identitäten. Interessant ist, dass Weiblichkeit gleichzeitig mit Modernität assoziiert wird, indem Frauen zum Ideal des modernen (i. S. von emotional, transnational, kosmopolitisch) Chinesen werden. Moskowitz spricht sogar von einer „gendered revolution“ (29), da sowohl Frauen als auch Männer sich damit identifizieren können. Mandopop hat somit neue Genderrollen in die Volksrepublik gebracht und neue Wege, Individualität auszudrücken, die staatlichen oder konfuzianischen Werten entgegenstehen. Darüber hinaus stellt Moskowitz die über Musik transportierten Männlichkeitskonzepte aus der VR China und Taiwan einander gegenüber.

Am Ende des Buches findet eine Auseinandersetzung mit den Kritiken am Mandopop statt, die sowohl von der chinesischen Regierung, als auch von taiwanesischer Seite kommen, aber auch von westlichen Musikwissenschaftlern, die eine generell ablehnende Haltung gegenüber Popmusik einnehmen. “By lumping all Mandopop in one category, English-language critiques reify the image of the Asian other as nameless, faceless clones” (110).

Im Anhang findet sich ein kurzes, aber hilfreiches Glossar und eine umfangreiche Discographie. Die Arbeit beruht zu einem großen Teil auf einer Feldforschung in Shanghai und Taipei. Direkte Statements der Interviewpartner werden sehr gut kontextualisiert (Alter, Beruf, etc.) und kommentiert – eine anspruchsvolle Aufgabe für postmoderne Ethnographen, bedenkt man die postulierte Transparenz der Darstellung von Alterität.  Moskowitz gelingt es jedoch mühelos, unterschiedliche emische und etische Sichtweisen entsprechend zu präsentieren. Postkolonialismus, Globalisierung und Gender studies bilden die theoretische Basis der Untersuchung, die letztlich zeigt, wie individuelle und Gruppen-Identitäten über Musik ausgehandelt werden können. Die Lektüre lohnt nicht zuletzt aufgrund des feinen, erzählenden Stils, der dem Leser eine quirlige Straße von Taipei nahezubringen vermag.

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